Kolonialismus und Schokolade

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Ich überfliege das Quiz und weiß sofort, dass ich so gut wie keine Frage beantworten kann. Was verbinde ich mit dem Namen Carl Peters? Was war der Maji-Maji-Aufstand? Was wurde auf der Kongo-Konferenz beschlossen? Ich weiß nicht einmal, was sich eigentlich hinter der Abkürzung EDEKA versteckt.

Nachdem wir das Quiz verglichen haben, ziehe ich eine traurige Bilanz: 2/10 Punkten. Doch damit bin ich nicht alleine: Auch die anderen schauen peinlich berührt in die Runde. Wir sind alle bestürzt darüber, wie wenig wir wissen.

Aufgabe im Workshop war es, einen Zeitstrahl der Kakao-Geschichte zu sortieren.

Doch ganz von Vorne: Wir sind „auf den kolonialen Spuren der Schokolade“, in einem Workshop der INKOTA Initiative Make Chocolate Fair, geleitet von Johannes Schorling. Der Einstieg mit dem Quiz hat uns gezeigt, wie wenig wir wissen und wie wenig Wert unser Bildungssystem auf das Thema Kolonialismus legt (es ist lediglich ein Wahlthema im Geschichtsunterricht).

Aber wir sind ja hier um zu Lernen. Und bisher haben wir schon erfahren, dass Carl Peters ein deutscher Kolonialpionier war, dem die Gründung der Kolonie Deutsch-Ostafrika (in der Region des heutigen Tansanias) zugeschrieben wird. Der Maji-Maji-Austand war eine Massenerhebung in eben jener Kolonie gegen die deutsche Vorherschaft, der brutal niedergeschlagen wurde und mit dem Tod von bis zu 200 000 Menschen endete. Und auf der Kongo-Konferenz wurde die Aufteilung Afrikas unter den Kolonialmächten beschlossen. Was uns alle sicherlich am meisten erstaunt hat ist, dass der Name EDEKA aus der Abkürzung E.D.K. – „Einkaufsgenossenschaft Deutscher Kolonialhändler“ stammt. Welche anderen Spuren der Kolonialzeit sind noch heute unerkannt in Deutschland zu finden? Wir wollen uns im Schokoladenregal auf die Suche machen!

Kakao – vom Luxusgut zum Massenprodukt

Dazu tauchen wir zunächst einmal in die Vergangenheit ein: Wie kam der Kakao von Lateinamerika nach Afrika? Wie wurde er dabei von der „Speise der Götter“ zum Massenkonsum-Artikel?

Die Geschichte der Schokolade beginnt im 15.-4. Jahrhundert vor Christus, als die Olmeken am Golf von Mexiko als vermutlich erste die Kakaopflanze züchten. Über Jahrhunderte ist die Pflanze ausschließlich im heutigen Lateinamerika bekannt, bis sie im 16. Jahrhundert von Cortez und seiner Flotte als Kriegsbeute nach Europa gebracht wird. Dort erobert das von den Azteken übernommene Kakaogetränk schnell die Königshöfe.

Aufgrund der hohen Nachfrage entstehen in Lateinamerika bald große Anbaugebiete für Kakao. Da die indigene Bevölkerung von der schweren Arbeit und Krankheiten dahingerafft wird, werden Sklaven in großem Ausmaß von Afrika eingeschifft. Man geht davon aus, dass bis zum 19. Jahrhundert an die 9 Mio. Menschen aus ihrer Heimat verschleppt werden. Später wird der Anbau aufgrund des günstigen Klimas nach Afrika ausgeweitet und auch in deutschen Kolonien wird Kakao angebaut. Als „moderne Sklavenarbeit“ werden die unmenschlichen Arbeitsbedingungen auf den Plantagen von der Schweizer Mission bezeichnet.

Währenddessen entwickelt sich Kakao in Europa von einem Statussymbol zu einem Lebensmittel für die breite Bevölkerung. 1845 stellt der Schweizer Konditor Sprüngli die erste feste Schokolade her. In Deutschland entwickelt sich Dresden zum Zentrum der Schokoladenherstellung.

Fair gehandelte Schokolade, wie sie der Weltladen verkauft, gewährleistet ein gesichertes Einkommen.

Mit Ende des ersten Weltkrieges tritt Deutschland seine Kolonien an die Siegermächte ab. Es dauert jedoch weitere 60 Jahre, bis der größte Teil der Kolonien unabhängig wird. Ghana und die Elfenbeinküste exportieren Kakao in enormem Ausmaß, allerdings wird die Kakaobohne in den Ländern selbst nicht weiterverarbeitet. Den Mehrwert erhält das Produkt erst in den europäischen Industrienationen, wo mit dem Verkauf der fertigen Schokolade der größere Gewinn erzielt wird.

Als der Kakao-Boom 1985 abrupt endet, stürzt das die Elfenbeinküste in eine wirtschaftliche Krise. Die anschließende Privatisierung des Kakaosektors führt dazu, dass der Anteil einheimischer Kakaobauern rapide zurückgeht. Stattdessen steigt der Anteil multinationaler Firmen auf bis zu 30%.

Das öffentliche Entsetzen ist groß, als im Jahr 2001 eine Dokumentation der BBC über moderne Kindersklaverei im Kakaoanbau aufklärt. Auf Druck der Bevölkerung unterschreiben die großen Kakaohersteller das Harkin-Engel-Protokoll, in dem sie sich dazu verpflichten, die schlimmsten Formen der Kinderarbeit zu beenden. Doch 15 Jahre später hat die Kinderarbeit sogar noch zugenommen: Der ständig schwankende Weltmarktpreis für Kakao verhindert ein gesichertes Einkommen. Dadurch sind Familien, die am Existenzminimum leben, auf das Mitverdienen ihrer Kinder angewiesen. Erst vor einigen Monaten ist der Weltmarktpreis um fast 40% gefallen.

Wo der Kolonialismus auch heute noch zu finden ist…

Auch in Brandenburg an der Havel finden sich noch alte Spuren des Kolonialismus -wie dieser übermalte Schriftzug eines Kolonialwarenladens.

Kann man aufgrund solcher geschichtlich gewachsener Abhängigkeiten Begriffe wie Neokolonialismus oder modernwirtschaftlichen Imperialismus verwenden? Wie beeinflusst die Kolonialzeit noch heute unser Weltbild? Welcher rassistischen Klischees bedient sich Schokoladenwerbung? Der Workshop neigt sich dem Ende zu, und es gibt noch so viele Fragen.

In kleinen Gruppen diskutieren wir einige der Themen. Ich schließe mich der Gruppe an, die sich dem Rassismus in der Schokoladenwerbung annimmt. Das uns zur Verfügung gestellte Material reicht von der wohlbekannten Müllermilch-Weihnachtsedition, über geschmacklose Wortspiele in einer Schokoladeneiswerbung („I will mohr!“) bis hin zum dienenden Sarotti-Mohr, der erst 2004 ersetzt wurde.

Ist es eigentlich auch rassistisch, eine Blondine für Vanillegeschmack werben zu lassen? Und wäre es rassistisch gewesen, wenn der Sarotti-Mohr aus der Feder eines Schwarzen Unternehmers gekommen wäre?

Das sind keine eindeutig zu beantwortenden Fragen. Zweifellos ist allerdings in allen Fällen zu untersuchen, welche Assoziationen die Darstellungen hervorrufen und woher sie stammen. Geschichtlich bedingt ist es eben der Schwarze, der mit Kakao in Verbindung gebracht wird und weniger die Blondine, die etwas mit Vanille zu tun hat, unabhängig davon, ob die Haut einen ähnlichen Farbton wie das Produkt hat.

Rassismus in der Werbung beschränkt sich aber nicht nur auf solch offensichtliche Stereotype. Häufig unabsichtlich entstehen Plakate, die allein mit Gesten und Haltungen der Abgebildeten oder mit der Bildaufteilung ein postkoloniales Weltbild ansprechen. Auch NGOs und dem Faire Handel passiert das hin und wieder: Ob der weiße Arzt die schwarzen Afrikaner in einem Hilfsprojekt gegen Krankheiten impft, oder die gebückte Teebäuerin in der unteren Bildhälfte für die deutsche Mittelklasse-Frau in der oberen Bildhälfte Kräuter pflückt – die Überlegenheit der weißen Hautfarbe wird dem Unterbewusstsein suggeriert.

Wir tragen unsere Ergebnisse zusammen. Zwei Stunden Workshop haben lange nicht gereicht, um die Thematik in vollem Umfang darzustellen. Trotzdem haben wir eine Menge gelernt. Ich persönlich habe noch viel mehr gelernt, was ich alles nicht weiß.

Mit einem kleinen Buffet und natürlich mit vielen fair gehandelten Leckereien schließen wir den Abend ab. In Zukunft werden wir sicher alle mehr auf die Spuren des Kolonialismus achten!

Anna Wolf